Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

»Time Has Come Today«. Die Eigenzeiten popmusikalischer Chronotopoi und ihr Beitrag zur temporalen Differenzierung von Lebenswelten seit den 1960er Jahren

Dominik Schrage (Dresden)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

»Time Has Come Today«. Die Eigenzeiten popmusikalischer Chronotopoi und ihr Beitrag zur temporalen Differenzierung von Lebenswelten seit den 1960er Jahren

Projektlaufzeit

  1. April 2014–30. September 2017

Beschreibung

Musik ist genuin temporal strukturiert. Zeitwahrnehmung wird durch Musik strukturiert und auf vielfältige Art ästhetisch gestaltet. Im Alltag des 20. Jahrhunderts wird populäre Musik omnipräsent. Ästhetische Innovation ist bei ihr stark von der Akzeptanz neuer musikalischer Formen durch ein gesellschaftlich ubiquitäres und sich zugleich ausdifferenzierendes Publikum abhängig. Populärmusikalische Darstellung, ihre Wahrnehmung und Praxis beruhen deshalb auf situativen Korrespondenzen zwischen ästhetischen und sozialen Zeitstrukturen. Wandelbare Publikumspräferenzen können ästhetische Innovationen ermöglichen oder kanalisieren, zugleich werden musikalische, also zeitgebundene Formen in den Alltag eingebunden und erfüllen dabei gesellschaftliche Orientierungsfunktionen.

Diese Vermittlungsleistung populärer Musik tritt in Phasen sozialen und kulturellen Wandels besonders hervor, weshalb der historische Schwerpunkt des Projekts auf der Zeit der 1960er bis 1980er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland lag. Verbreitet ist die Auffassung, Popmusik habe die kulturellen Umbrüche dieser Zeit begleitet und symbolisiert. Die weitergehende, das SPP-Programm aufgreifende These des Projekts lautete, dass populäre Musik als ästhetische Praxis dabei eine prägende Rolle einnahm. Damit wurde ein Beitrag zur materialen Fundierung der im SPP-Programm vorgeschlagenen Revision bestehender Moderne-Konzepte geleistet. Das Teilprojekt untersuchte die Frage nach den aisthetischen, technisch-materialen und musikalischen Formen anhand von konkreten Modellierungen selbstreferentieller Zeitebenen und ihrer Verknüpfungen mit sozialen Zeitschemata (Biographien, Muster der Zeitverwendung, soziale Transformationsprozesse und gruppenspezifische Sonderzeiten). In diesem Sinne zielte das Projekt auf eine theoretische Reflexion der von der populären Musik als historischem Artefakt bewirkten ästhetischen und sozialen Zeitstrukturen ab.

Dazu wurde ein elaboriertes Konzept popmusikalischer Chronotope entwickelt, das Bachtins Begriff des Chrontopos aufgreift und weiterentwickelt. Es bezeichnet einen Kristallisationspunkt popmusikalischer Kultur, nämlich raumzeitliche Ordnungen, die durch Musikerleben konstituiert werden. Exemplarisch wurde dies am popmusikalischen Chronotopos der »progressiven Landdisko« untersucht.

Theoretisch ist mit dem Begriff des Erlebens eine Ebene situativer, emotionaler Beteiligung angesprochen, die sowohl in ästhetische Eigenzeiten als auch lebensweltliche Vollzüge involviert ist und diese somit vermittelt. Empirisch wurden von Beteiligten popmusikalischer Chronotope retrospektiv erinnerte oder textlich dokumentierte Eindrücke von Stimmigkeit genutzt, um auf Korrespondenzen, Divergenzen und Wechselwirkungen zwischen ästhetischer Darstellung, subjektivem Erleben und sozialen Zeitschemata zu schließen.

Projektleiter

Prof. Dr. Dominik Schrage (Technische Universität Dresden)

MitarbeiterInnen

Dr. Holger Schwetter (Technische Universität Dresden)
Anne-Kathrin Hoklas (Technische Universität Dresden)