Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Anachronie und Präsenz. Ästhetische Wahrnehmung und künstlerische Zeitlichkeitskonzepte im ›Black Atlantic‹

Gabriele Genge (Essen)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Anachronie und Präsenz. Ästhetische Wahrnehmung und künstlerische Zeitlichkeitskonzepte im ›Black Atlantic‹

Das Forschungsprojekt sucht nach der Relevanz ästhetischer Eigenzeiten im Chronotopos des ›Black Atlantic‹ und bezieht sich dabei insbesondere auf Artefakte, künstlerische Arbeiten, aber auch ästhetische Theorieentwürfe und deren relationale Dynamiken, Zeit- und Handlungspotenziale. Der Begriff ›Black Atlantic‹ bezeichnet die vielfältigen – dem Kolonialismus wie Sklavenhandel geschuldeten – politischen und kulturellen Beziehungen zwischen den Kontinenten Afrika, Europa und den Amerikas, die einem transnationalen Raumkonstrukt eingeschrieben sind. Das Modell fokussiert dynamische, kulturelle Vernetzungen jenseits derjenigen nationalstaatlichen Identitätspolitiken, die die westliche Kunstgeschichte bislang grundlegend geprägt haben.

Ausgangspunkt ist dabei ein verändertes Verständnis der als ›global‹ benannten Gegenwartskunst, die nunmehr als Verdichtung historischer Verflechtungsprozesse verstanden wird, die die Statik früherer kunsthistorischer Epochenmodelle ablösen kann. Jenseits dichotomer Rassenkonzepte und ihrer anthropologisch bestimmten Zeitlichkeit, u.a. ausgeprägt im Konzept des ›primitiven Afrika‹, gilt es, das eigenwillige, ›präsente‹ ästhetische Potenzial künstlerischer Objekte und Artefakte und deren Relevanz für die Moderne bis Gegenwart herauszustellen sowie deren Einflussnahmen auf die Genese von Wissensordnungen neu zu konturieren. Dabei steht die Auseinandersetzung mit dem Medium Bild und seiner transkulturellen ›agency‹ im Mittelpunkt. Es soll untersucht werden, wie jene Bilder/Artefakte und ihre durch Migration bestimmte Wahrnehmung Auslöser (post-)kolonialer ethnologischer, kunstwissenschaftlicher und philosophischer Wissenskonzepte wie insbesondere des ›Fetischismus‹ bzw. ›Totemismus‹ werden konnten, die sich nicht nur im ›Westen‹ ausprägten. Vielmehr ist zu fragen, wie sie sich als ›ästhetische Regime‹ in unterschiedlichen Räumen des ›Black Atlantic‹ verdichteten. Darüber hinaus soll auch deren Relevanz für die die frühen Fachgeschichten, deren methodische Ausbildung und ästhetische Konzepte transkulturell erarbeitet werden.

Den konkreten Zeitrahmen des Projektes liefert die wissensgeschichtlich bislang kaum untersuchte ›Négritude‹, die sich als ästhetisches Konstrukt von Zeitlichkeit im ›Black Atlantic‹ beginnend in den 1930er Jahren in Paris entfaltete. Der Einfluss dieses Konzepts und seiner transnationalen ›Akteure‹ soll zum einen im Zeitraum der Dekolonisation und des politischen ›Neuanfangs‹ der 1960er Jahre untersucht werden, in dem künstlerische Praktiken, Kunstwerke und Artefakte Anlass für diasporisch geprägte ›andere‹, z.B. anachrone Konzepte von Historizität wurden, aber mit Blick auf die Dekonstruktion der Négritude in den 1980er Jahren auch deren fortdauernde Rolle für eine gegenwärtige dekolonisierte Perspektive auf das Fach bzw. seine Bildbegriffe aufzeigen.