Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Bild – Blick – Zeit. Die rezeptionsästhetische Temporalität des Bildes

Johannes Grave (Bielefeld), Reinhard Wegner (Jena)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Bild – Blick – Zeit. Die rezeptionsästhetische Temporalität des Bildes

Laufzeit

  1. Februar 2014–9. Juli 2018

Beschreibung

Bilder sind auf besondere Weise in Zeitlichkeit verstrickt; in ihnen verschränken sich unvermeidlich verschiedenste Zeitebenen (die Zeit des Dargestellten, die Alterung des Bildträgers, Prozesse der Wahrnehmung, Erinnerungen und Erwartungen des Betrachters etc.). Die Wahrnehmung von Bildern lässt sich daher nicht als simultane Schau einer gegebenen visuellen Ganzheit verstehen, sondern vollzieht sich in einer eigenen Zeit, in der das Sehen vorgezeichneten Spuren folgt oder neue Wege durch das im Bild anschaulich Gegebene bahnt. Jeder Akt des Bild-Betrachtens impliziert Prozesse, in denen verschiedene Elemente des Bildes zueinander ins Verhältnis gesetzt werden.

Für die Spezifik der Zeiterfahrungen vor Bildern sind deren rezeptionsästhetische Qualitäten von zentraler Bedeutung. Durch seine Gestaltung ermöglicht das Bild bestimmte Wahrnehmungsprozesse oder schränkt sie ein. Inwiefern und mit welchen Mitteln Bilder die komplexe Zeitlichkeit ihrer Rezeption beeinflussen, ist jedoch noch weitgehend ungeklärt. Ältere Ansätze, in Bildern vergleichsweise präzise Vorgaben für die Abfolge der Betrachtung zu vermuten, haben sich nicht durchsetzen können. Das Projekt hat daher nicht vorrangig nach linearen Verlaufsmustern, sondern nach bildinternen Widerstreiten gefragt, die eine zeitliche Erstreckung der Rezeption zur Folge haben.

Im kritischen Rückblick auf die bisherige Forschung zum Verhältnis von Bild und Zeit sowie auf empirische und kognitionswissenschaftliche Ansätze hat es das Projekt unternommen, die kunsthistorische Rezeptionsästhetik weiterzuentwickeln und um deren bisher vernachlässigte temporalen Aspekte zu bereichern. Dazu waren systematische und historische Perspektiven miteinander zu verknüpfen. Zwei historische Fallstudien haben erschlossen, wie die rezeptionsästhetische Zeitlichkeit im 19. Jahrhunderts reflektiert und in das ästhetische Kalkül einbezogen wurde.

Die erste Studie hat versucht, für den Beginn des 19. Jahrhunderts ein Ideal der lebendigen Darstellung zu rekonstruieren, dessen primäres Interesse der Frage gilt, wie den Darstellungsmitteln Lebendigkeit und Beweglichkeit zukommen kann. Im Zentrum dieser Studie stehen romantische Bildallegorien sowie die Integration von Schrift in Bilder. Die zweite Studie war dem Werk Adolph Menzels gewidmet, in dem die Darstellung von Zeit und die Zeitlichkeit der Darstellung besonders markant zusammentreten.

Im Rückgriff auf die Beobachtungen und Ergebnisse dieser historischen Fallstudien sollte eine systematisch angelegte Untersuchung schließlich den begrifflichen und analytischen Rahmen für eine Rezeptionsästhetik des Bildes entwickeln, die die Zeitlichkeit des Akts der Bildbetrachtung in ihr Zentrum stellt. Dabei wurde nicht zuletzt noch einmal gefragt, warum Bildern auch jenseits einer Rhetorik der Evidenz oder täuschenden Realitätseffekten eine besondere Wirkmacht zukommen kann.

Projektleiter

Prof. Dr. Johannes Grave (Universität Bielefeld)
Prof. Dr. Reinhard Wegner (Friedrich-Schiller-Universität Jena)

MitarbeiterInnen

PD Dr. Boris Roman Gibhardt (Universität Bielefeld)
Frida-Marie Grigull (Friedrich-Schiller-Universität Jena)