Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Chinas Dritte Moderne. Diskurse des Zwischen-Moments und die apparativen Medien

Stefan Kramer (Köln)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Chinas Dritte Moderne. Diskurse des Zwischen-Moments und die apparativen Medien

Das Projekt untersucht Konzeptionen von Zeit in der philosophischen und künstlerisch-ästhetischen Praxis Chinas im frühen 20. Jahrhundert. Es fokussiert auf die lokale Aneignung der global standardisierten zeitbasierten technisch-apparativen Medien der industriellen Moderne und deren Verhältnis zu vorapparativen chinesischen Kunst- und Medienpraktiken. Die Ebenen von technischer Apparativität, ästhetischer Praxis und dem Aufeinandertreffen historisch unterschiedlich geprägter Diskurse in den Texten chinesischer Philosophen und der mit diesen korrelierenden künstlerisch-medialen Repräsentationsmodi in der chinesischen Republikzeit bilden multiple ästhetische Eigenzeiten heraus. In diesem Sinne prämiert dieses Projekt die These von sich in zahlreichen wechselseitigen Einschreibungs- und Aktualisierungsprozessen ergebenden Alteritäten der ästhetischen Moderne gegenüber denjenigen einer einheitlichen Erfahrung der Moderne nach hegemonial westlichem Vorbild oder von kulturellen Singularitäten ohne verifizier- und analysierbare Berührungspunkte und Wechselwirkungen. Im Mittelpunkt der Lektüren stehen zentrale Texte bedeutender republikzeitlicher Philosophen wie Zhang Dongsun, Liang Qichao, He Lin, Feng Youlan, Hu Shi, Liang Shuming, Xiong Shili und Ai Siqi. Sie sollen daraufhin untersucht werden, inwieweit sie Zeit als Chronos oder Zwischen-Moment, so die chinesischen Zeichen für Zeit, thematisieren und es in ihnen Ansätze für alteritäre Modernität gibt.

Im Fokus stehen dabei neben dem erkenntnistheoretischen Aspekt auch die philologische Konstruktion von Modernität und die Auseinandersetzung mit der auch im 20. Jahrhundert nach wie vor aktuellen neokonfuzianischen Debatte um die Einheit von Wissen und Handeln, von Ethik und Herrschaft. Es geht darum, die dabei zu identifizierenden Konzeptionen von Zeit in eine Beziehung zu den parallel mit ihnen zu analysierenden Werken chinesischer Künste desselben Zeitraums zu setzen. Als programmatisches Medium der Moderne rückt dabei die Kinematographie in den Mittelpunkt, deren chinesische Aneignung in einem close reading filmischer Texte untersucht und hinsichtlich der Beziehung von technisch vorgegebener zeitlicher Linearität und diskursiver Praxis befragt wird. Die herausgearbeitete Zeitästhetik gilt es an lokale Umweltbedingungen anzubinden und im Hinblick auf Wechselwirkungen mit vorapparativen medienästhetischen Gestaltungsmustern zu untersuchen. Dazu blickt das Projekt parallel auf die den chinesischen Film prägenden und sich gleichzeitig unter den Bedingungen der technischen Medien wandelnden lokalen Traditionslinien von Oper und Literatur. Das Ziel des Projekts besteht in diesem Sinne in der Neubewertung der importierten modernen Zeitregime hinsichtlich ihrer chinesischen Wahrnehmungsbedingungen, der philosophischen Diskurse und künstlerisch-ästhetischen Praxis chinesischer Akteure sowie in der Darstellung einer vielgestaltigen und polychronen Moderne innerhalb und jenseits national-kultureller Grenzziehungen.