Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Polychronie des Marktes. Neoklassische Temporalität in Projekten wirtschaftlicher Ordnung seit den 1970er Jahren

Andreas Langenohl (Gießen)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Polychronie des Marktes. Neoklassische Temporalität in Projekten wirtschaftlicher Ordnung seit den 1970er Jahren

Das Projekt untersucht die Bedeutung der Polychronie wirtschaftswissenschaftlicher Theoriemodelle neoklassischer Provenienz bei der Projektierung und Institutionalisierung wettbewerbszentrierter Wirtschaftsordnungen und -politiken seit den 1970er Jahren. Die Polychronie jener Theoriemodelle ist dem Umstand geschuldet, dass diese stark formalisierten Modelle unterschiedliche zeitliche Ausdeutungen zulassen und daher bei ihrer Implementierung in Form von Wirtschaftsordnungen eine Dynamik von temporaler Vereinheitlichung und temporalem Ambiguitätsaufbau bewirken. Diese Dynamiken werden theoretisch mittels eines Begriffs der Aisthesis gefasst und als Kern der kulturellen Institutionalisierung neoklassischer Modelle verstanden. Das Projekt stellt sich somit Diagnosen entgegen, welche die Dominanz von durch neoklassische Prämissen beeinflussten, auf Wettbewerbsmärkten basierenden Wirtschaftsordnungen mit der Dominanz eines bestimmten Zeitlichkeitsmodus (etwa zunehmende Kurzfristigkeit) bzw. einer bestimmten temporalen Tendenz (etwa Beschleunigung) in Verbindung bringen. Die Arbeitshypothese lautet, dass gerade die Polychronie neoklassischer Theorieentwürfe ein begünstigender Faktor bei der Etablierung wettbewerbszentrierter Wirtschaftsordnungen und -politiken ist, weil sie es erlaubt, die Theoriemodelle mit unterschiedlichen politisch-ökonomischen Zeithorizonten zu verknüpfen und auf diese Weise kulturell zu institutionalisieren.

Diese kulturelle Institutionalisierung der Neoklassik wird empirisch in Form von Fallstudien an vier prominenten Stationen der Implementierung wettbewerbszentrierter Wirtschaftsordnungen untersucht: der Herausbildung des Washington Consensus und der damit verbundenen Formalisierung von Strukturanpassungsmaßnahmen des Internationalen Währungsfonds; der Umgestaltung marktwirtschaftlicher Ordnungen nach einem wettbewerbszentrierten Modell in Großbritannien und den USA unter Thatcher und Reagan; der marktradikalen Schocktherapien in Polen und Russland Anfang der 1990er Jahre; und anhand des aktuellen Umgangs mit der Staatsschuldenkrise in der Eurozone.