Ästhetische Eigenzeiten – Zeit und Darstellung in der polychronen Moderne

Religiöse Zeiten, Mediengenres, technischer Vollzug. Eine ethnographische Untersuchung audiovisueller Medienpraktiken unter Schiiten in Hyderabad

Patrick Eisenlohr (Göttingen)

Teilprojekte Phase: 1. 2.

Religiöse Zeiten, Mediengenres, technischer Vollzug. Eine ethnographische Untersuchung audiovisueller Medienpraktiken unter Schiiten in Hyderabad

Das Projekt untersucht die ästhetische Produktion von Zeit und Zeitlichkeit in religiösen Videos unter Schiiten in Hyderabad, Indien. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der ethnographischen Untersuchung der mit diesen Videos zusammenhängenden umfassenden Medienpraktiken. Das Vorhaben zielt darauf ab, die Wechselwirkungen zwischen den in schiitischen Videos vermittelten zeitlichen Strukturen, medialen zeitlichen Dynamiken im technischen Vollzug und den Interpretationen und Zeiterfahrungen von Schiiten in Hyderabad, die durch das Schauen dieser Videos ausgelöst werden, zu untersuchen.

Die zum Teil lokal produzierten Videos, die unter Schiiten in Hyderabad populär sind, haben vor allem die ritualisierte Erinnerung an die tragischen Ereignisse der Schlacht von Karbala im Jahr 680 zum Inhalt. In dieser Schlacht fand Hussain, ein Enkel des Propheten Muhammad, mit seinen Familienmitgliedern den Märtyrertod. Videos, die auf höchst dramatische Weise ritualisierten Schmerz und Trauer über Karbala zum Gegenstand haben, können unter praktizierenden Schiiten Präsenzerfahrungen erzeugen, die eine sinnlich erfahrbare Zeugenschaft der tragischen Ereignisse von Karbala ermöglichen. Letzteres ist ein zentrales Merkmal schiitischer Frömmigkeit. Darüber hinaus zirkulieren unter Schiiten in indischen Städten wie Hyderabad auch religiöse Videogenres, die die Erinnerung an Karbala zum Anlass für Aufrufe zu sozialen und politischen Reformen in der Gegenwart nehmen und den Gedanke des Fortschritts in die Zukunft deutlich werden lassen.

Das Projekt befasst sich mit der Generierung verschiedener Eigenzeiten durch Mediengenres und der Beeinflussung von Präsenz- und damit Zeiterfahrungen durch die Operationen technischer Medien. Medienproduktion und -konsum sind wiederum in umfassende Medienpraktiken eingebettet, die Teil eines größeren sozialen und kulturellen Kontexts sind, der über die Beschäftigung mit Medien weit hinausreicht. Deshalb basiert das Vorhaben auf einer medienethnologischen Analyse von Medienpraktiken, um Zeiterfahrungen zu erfassen, die aus dem komplexen Zusammenspiel von Videogenres, technisch erzeugten Zeitachsenmanipulationen, den zeitlichen Dimensionen religiöser Kosmologien und den alltäglichen zeitlichen Strukturen des Lebens in einer zeitgenössischen indischen Großstadt resultieren. Die Forschung zielt somit darauf ab, das Schwerpunktprogramm »Ästhetische Eigenzeiten« durch komparative Perspektiven aus einer Metropole des globalen Südens zu bereichern und die Konditionierung von Eigenzeiten durch technische Medien in den Vordergrund zu stellen.