Workshop: Prozess und Prozessualität
Schloss Gracht, Fritz-Erler-Straße 1, 50374 Erftstadt
30. November 2017, 14:30 Uhr – 2. Dezember 2017, 14:00 Uhr
In den Hauptlinien des europäischen Denkens erscheinen Dinge, auch wenn man sie als Veränderungen unterworfen ansieht, dennoch immer als materiell und gegeben. Betrachtet man dagegen einige Gegenlinien des europäischen Diskurses, dann gelangt man zu Sichtweisen, in denen die Dinge nicht immer in gleicher Weise als Gegebenheiten vorausgesetzt und als solche in einer zwangsläufigen Binarität zwischen ihrer Materialität und ihrer Wahrnehmung betrachtet werden. Der Blick auf andere Kulturen indes führt noch weit darüber hinaus zu teilweise gänzlich anders strukturierten Epistemologien und, damit verknüpft, zu eigenen Ontologien. Diese lassen sich in vielen Fällen kaum hinreichend mit dem »westlichen« Begriffsapparat beschreiben und eröffnen damit ihrerseits, von außen her, eine Fülle weiterer Perspektiven auf die Verfasstheit von Sein, Ding und Prozess.
Prozess selbst ist dabei immer Zeit. Auch in kulturellen Systemen, in denen Zeit begrifflich gar nicht oder zumindest doch anders gesetzt ist, lässt sich doch immer eine ontologische Einheit beschreiben, die mit unserem gängigen Zeitbegriff in eine irgendwie geartete Beziehung gebracht werden kann. Zeit stellt dabei keine Form dar. Sie drückt sich auch nicht in einer Form aus. Eher handelt es sich bei ihr und ihr vergleichbaren Konzeptionen anderer kultureller Räume entweder um das Virtuelle des Prozesses oder ist sie selbst nur prozesshaft zu verstehen. Damit verbunden ist ein Verständnis, das auch den Raum nicht als gegeben, sondern nur als eine andere Begrifflichkeit des Prozesses auslegt, als räumliche In- und Extension des Ereignisses.
Prozessualität lässt sich in einer Vielzahl Figurationen anschaulich machen. Dazu zählt z.B. die Idee der Plastizität, wie sie etwa in den Neurowissenschaften populär ist. Neuronale Plastizität bedeutet, dass das Ereignis des Denkens und dasjenige der Selbstveränderung untrennbar miteinander verbunden sind. Das Denken von Prozessualität stellt uns dabei im Rahmen des uns eigenen Erkenntnissystems vor zumindest eine Schwierigkeit, für die von den Wissenschaften und Philosophien bisher nur widersprüchliche und kaum hinlängliche Lösungsmöglichkeiten vorgeschlagen worden sind. Es handelt sich dabei um das Problem der Bestimmung des Verhältnisses von Kontinuität und Diskontinuität. Wenn es nämlich nichts jenseits des Ereignisses gibt, was garantiert dann, dass die Welt oder das Universum nicht auseinanderfallen? Worin besteht in diesem Falle das Gedächtnis des Ereignisses und wie sind Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihm angelegt? Wenn indes die Wirklichkeiten nur in Form eines Werdens verstanden werden können, wie kommt es dann zum einzelnen Ereignis, zur einzelnen Erscheinung?
Der Workshop, der eine Veranstaltungsreihe des SPP zu »Zeit-Theorie und Ästhetik« eröffnet, verfolgt unter Bezugnahme auf diese Überlegungen drei zentrale Diskurslinien: Erstens will er die Theorien der Zeit im prozessphilosophischen Denken der europäischen Tradition und deren erkenntnistheoretische und sozial-praktische Bedeutung diskutieren. Zweitens will er das Experiment anstellen, Kunst, Literatur, Musik, Film, Tanz, Performance konsequent in einem prozessphilosophischen Zusammenhang zu beschreiben – und zwar auch da, wo wir nicht nachweisen können, dass Prozessphilosophie in ihrer Ästhetik Einfluss ausgeübt hat. Drittens will er mit seinem vergleichenden Blick über den »Tellerrand« europäischer Philosophie hinaus Alteritäten der begrifflichen Weltkonstitution erarbeiten und deren mögliche und tatsächliche Relevanz für ein Prozessdenken und ein aisthetisches Gestalten der Wirklichkeiten von Zeit diskutieren.